Welt aus Glas - Roman by Frankfurter Verlags-Anstalt

Welt aus Glas - Roman by Frankfurter Verlags-Anstalt

Autor:Frankfurter Verlags-Anstalt [Ernst-Wilhelm Händler]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2011-08-04T00:00:00+00:00


Bilanz

Jacob erinnerte sich an Berichte von Entführten, denen jeder Zeitsinn abhanden gekommen war, weil man ihnen die Uhr abgenommen und sie in künstlich beleuchteten Räumen gefangengehalten hatte, so daß sich ihr innerer Tag-Nacht-Rhythmus vom äußeren entkoppelt hatte. Chuy hatte sowohl ihm als auch Madeline die Uhr gelassen. Sie sollten Teil der Welt bleiben, um deren Getriebe so zu beeinflussen, daß das verlangte Lösegeld bezahlt wurde.

Dennoch verstrich die Zeit nicht. Sie waren in einer Blase eingeschlossen, er und Madeline, in der sich alles immer wiederholte. Ein deutscher Philosoph hatte aus der ewigen Wiederkehr des Gleichen eine Theorie gemacht, die er auf das ganze Universum anwendete. Jacob fragte sich, wie der Philosoph wohl seine einschlägigen Erfahrungen gemacht hatte. Wer kidnappte schon deutsche Philosophen.

Die Erdgöttin kam morgens, mittags und abends. Morgens brachte sie Wasser, mittags Burritos, abends nahm sie die leeren Wasserflaschen und die Essensreste mit.

Sie begleitete ihn und Madeline, wenn sie ihre Notdurft verrichten mußten. Das geschah unter dem Baum hinter dem Trailer. Mit einem rostigen Spaten mußte Jacob ein Loch ausheben. Seine Handschellen und Fußeisen waren immer mit der Kette um seine Hüften verbunden. Er ließ die Hose herunter, klemmte sie zwischen die Unterschenkel und hockte sich über das Loch. Die Erdgöttin stand neben ihm, er sah auf ihre Schuhe. Die Ketten hätten grundsätzlich eine Säuberung erlaubt, aber es war kein Material vorhanden. Danach schippte Jacob das Loch zu, das er gegraben hatte. Madeline tat sich leichter, sie mußte ebenfalls Handschellen und Fußfesseln tragen, aber die waren nicht miteinander verbunden und ihre Ketten länger.

Am Abend ging die Sonne nicht unter, jemand verdunkelte sie, löschte sie aus. Zuerst bildeten sich einzelne schwarze Flecke am Rand der Sonne, sie wurden schnell größer und vereinigten sich zu einem unregelmäßigen schwarzen Ring. Die Sonne leistete Widerstand, wo sie noch nicht bedeckt war, leuchtete sie um so stärker. Jetzt bildeten sich auch schwarze Flecke innerhalb und außerhalb des Rings. Der Widerstand war vergeblich. Die schwarzen Flecke gewannen das Übergewicht und vereinigten sich. Nur noch von einzelnen Stellen auf der Sonne gelangten Lichtstrahlen zur Erde. Schließlich war die Sonne eine schwarze Scheibe mit unregelmäßigen Umrissen, die an einigen Punkten noch leuchtete und die vor allem einen hellen Rand hatte. Nun dauerte es nicht mehr lange, bis auch die letzten hellen Stellen verschwanden.

Die Nacht war tiefschwarz. Madeline schlief durch, als wäre es das Natürlichste der Welt, in Mexiko in einem Trailer gefangengehalten zu werden. Sie atmete fast unhörbar. Jacob war es völlig unmöglich, länger als ein oder zwei Stunden am Stück zu schlafen. Das Geräusch, das die Ketten machten, wenn Madeline sich im Schlaf umdrehte, zerrte an den Nerven des wach liegenden Jacob.

Einzelne Lichtpunkte und rötliche Strahlung über die Ränder der dunklen Sonnenscheibe hinaus kündigten den Morgen an. Da war ein Auge in der Dunkelheit, mit einer schwarzen Pupille, darin helle Flecke, der Augapfel nicht weißlich, sondern rötlich.

Das Auge begann zu pulsieren. Die Scheibe wurde größer und kleiner, die hellen Flecke in der dunklen Scheibe irrlichterten, schwarze Streifen erstreckten sich in den roten Hof, als ob die Scheibe zerfaserte.



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